Der 11. November wird in England als Remembrance Day oder Armistice Day in jedem Jahr begangen. Der jeweils nächstliegende Sonntag ist dann der Remembrance Sunday, an dem überall im Land der Toten aller Kriege gedacht wird - die zentrale offizielle Zeremonie findet am Cenotaph in London statt, wo die Königin im Rahmen einer Gedenkfeier einen Kranz niederlegt. Am Remembrance Day selber wird landesweit um 11 Uhr mit zwei Schweigeminuten speziell des Endes des Ersten Weltkriegs gedacht (eleventh hour of the eleventh day of the eleventh month), weil 1918 zu diesem Zeitpunkt der Waffenstillstand in Kraft trat. Unsere englische Partnerschule, die Reepham High School, führt seit 1998 in jedem Jahr am Remembrance Day eine schulische Gedenkveranstaltung durch, an der nicht nur Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte, sondern auch Veteranen des Zweiten Weltkrieges und seit 1998 auch jeweils eine kleine Delegation meiner Schule teilnimmt. Es handelt sich bei dieser Delegation jeweils um ein paar Schülerinnen und Schüler, die im Frühjahr mit in Ypern waren. In über die Jahre ganz unterschiedlichen Formen beteiligen sich auch die deutschen Schülerinnen und Schüler - natürlich auf Englisch - an dieser Schulveranstaltung. Wir haben schon kleine Szenen vorgespielt, selbst geschriebene Gedichte vorgetragen, einen Multimedia-Vortrag gehalten, einen selbst geschriebenen Text über die Ypern-Fahrt vorgelesen - immer jedenfalls auch unter großer Resonanz der lokalen Medien. Zeitung, Radio und auch Lokalfernsehen haben schon darüber berichtet. Gerade angesichts der sonst häufig zu beklagenden Unsitte einiger englischer Printmedien, bei jeder Nennung von Deutschen sofort Verbindungen zu Panzern, Blitzkrieg oder SS herzustellen, scheint mir insbesondere das Medienecho so wichtig zu sein wie die Selbstverständlichkeit, mit der inzwischen (ehrlicherweise muss ich tatsächlich "inzwischen" sagen) auch Eltern, Schülerinnen und Schüler und auch die Governors der englischen Schule unsere Teilnahme betrachten bzw. begrüßen.
Neben der Herausforderung, in der Fremdsprache vor so vielen "native speakers" bestehen zu müssen, zusätzlich zur Gewissheit, zum Abbau von Vorurteilen entscheidend beizutragen, gewinnen die deutschen Schülerinnen und Schüler natürlich auch landeskundliche Kenntnisse, die sie dann vielleicht sogar manchem Englischlehrer voraushaben. Sie wissen, was die zahllosen poppies an Jacken und Mänteln und poppy-Kränze an Mahnmalen und Denkmälern bedeuten, weil sie natürlich in der Vorbereitung auf diese Fahrt sich noch einmal mit dem Gedicht von John McCrae beschäftigt haben, das sie während des Frühjahrsprojekts schon einmal kennen gelernt haben, als sie auf dem Friedhof Essex Farm an der Stelle gestanden haben, an der es geschrieben wurde:
Sie sprechen mit den Veteranen, die an unserem gemeinsamen Anliegen keinen Zweifel lassen "There is no glory in war!" und uns in jedem Jahr wieder sagen, wie wichtig sie es finden, dass Deutsche an dieser Gedenkveranstaltung teilnehmen und dass junge Deutsche und Engländer zusammen sich des Themas Krieg und Gewalt annehmen. Und auch hier gilt für Selbstbewusstsein und Zuwachs an Selbstverständlichkeit im Gebrauch des Englischen das, was ich weiter oben schon ausgeführt hatte: Die Schülerinnen und Schüler sind zwar sichtlich nervös, wenn sie von allen Seiten auf ihre Beiträge angesprochen werden, aber eben auch sichtlich stolz, wenn sie die vielen Fragen und Kommentare der Engländer verstehen und ihnen antworten. Auch hier also stehen das Gewinnen von Selbstbewusstsein beim Gebrauch der Fremdsprache und der Abbau von Ängsten im Vordergrund - "we would be mad not to do it again!"